Dank einer Andy-Schmid-Show wahrt die Schweizer Handball-Nationalmannschaft ihre Chance auf den Einzug in die Hauptrunde. Schmid trug zum 31:24-Sieg über Polen 15 Tore bei. Morgen geht es gegen Slowenien um alles oder nichts.

Die ersten zwei Zähler sind in trockenen Tüchern, und die Schweiz ist definitiv im EM-Turnier angekommen. Das Team von Michael Suter zeigte sich im Spiel der letzten Chance gegen Polen, das nach der Niederlage gegen Slowenien ebenfalls unter Zugzwang stand, gegenüber dem Startspiel weit weniger nervös und somit auch weniger fehleranfällig.
Schnell wurde im mit 8000 Zuschauern gefüllten Scandinavium deutlich, dass diese Polen spielerisch und taktisch der Schweizer Equipe weit unterlegen sind. Und so hegte man trotz langer Zeit engem Spielverlauf nie wirklich Zweifel daran, dass die Eidgenossen in Göteborg einen historischen, nämlich den ersten Sieg an einer EM seit 16 Jahren landen würden.
Doch es ist ja nicht alles Gold, was glänzt. Abgesehen vom absolut entfesselten Andy Schmid, der mit 15 Treffern beinahe die Hälfte aller Tore seiner Farben schoss und auch die neutralen Zuschauer in der Halle als Fans gewann, offenbarte das Schweizer Team viel Verbesserungspotenzial im Abschluss: Vor allem die Trefferquote vom Kreis war zeitweise unterirdisch: «Wir hätten sicher noch einige Tore mehr machen können», meinte auch Trainer Michael Suter nach Spielschluss mit einem Schmunzeln. «Doch das spielt keine Rolle, wir haben nun die ersten Punkte geholt und damit ein neues Kapitel Schweizer Handballgeschichte schreiben können», so Suter, der nach dem Schweden-Spiel nur drei Stunden schlief und sich die Partie stattdessen noch zweimal auf Video ansah.
Schmid trifft von überall
Während rund 50 Minuten war die Partie am Sonntagnachmittag gegen die Polen eine enge Kiste. Die physisch sehr starken Osteuropäer, welche sechs Spieler über 2 Meter Körpergrösse im Team haben, konnten die sehr starke Schweizer Abwehr zwar nur mit Rückraumwürfen überwinden. Doch auch die Polen, welche mit einem sehr jungen Team aufliefen, machten den Schweizern in der Offensive das Leben schwer. Doch diese spielten geduldig und sehr variabel, mit guten Kreisanspielen – vor allem von Schmid – und kamen so immer wieder zu einfachen Abschlüssen. Doch eben, Milosevic, Lier und Konsorten scheiterten viel zu oft. So stand es nach 17 Minuten 7:7, ehe Andy Schmid mit einem Penaltytor – er übernahm gegenüber dem Startspiel die Verantwortung vom Siebenmeterpunkt anstelle Liers – und einem Konter erstmals auf zwei Tore vorlegen konnte. Diese Differenz hielten die Schweizer auch bis zur Pausensirene. Roman Sidorowicz, der für einen erneut schwachen Lenny Rubin kam und ein gutes Spiel machte, erzielte mit dem 14:12 den Zwischenstand nach 30 Minuten.
Superstar Schmid, der zur Pause bereits sieben Treffer zu Buche stehen hatte, machte nach Wiederanpfiff dort weiter, wo er aufgehört hatte. Dank unzähliger Treffer aus dem Rückraum und vom Penaltypunkt hatte er nach 38 Minuten (17:14) bereits die Zehn voll. Ganz zur Freude der erneut sehr lautstarken Schweizer Fans, die sich hinter der Schweizer Bank versammelt hatten. «Wir wussten im Vorfeld des Spiels eigentlich alles über die Schweizer und waren gut vorbereitet. Aber Schmid spielte dennoch fantastisch und machte heute den Unterschied », analysierte der erst 36-jährige Polen-Trainer Patryk Rombel enttäuscht. Doch Michael Suter meinte: «Es war eine Mannschaftsleistung heute. Schmid kann nicht 15 Treffer erzielen, wenn er nicht so viel Mithilfe von links und rechts hat wie heute.»
Die entscheidende Differenz schufen die Schweizer dann aber in der Schlussviertelstunde, als der ebenfalls gegenüber dem Startspiel stark verbesserte Torhüter Nikola Portner nochmals einige «Big Saves» zeigte und im Angriff auch die übrigen Schweizer konstant trafen. Portner selbst erzielte das 20:16 ins leere polnische Tor, Alen Milosevic und Marvin Lier erhöhten jeweils vom Kreis aus auf sechs Treffer bis zur 54. Spielminute.
So kommt es morgen Abend also zum nächsten Endspiel, diesmal gegen die Slowenen. Diese schlugen im gestrigen Abendspiel überraschend Gastgeber Schweden 21:19. Um die rechnerische Chance auf die Hauptrunde zu nutzen, müssten die Schweizer mit acht Toren gewinnen.
EM-Highlight für die Schweizer Fans
Stimmgewaltig zeigten sich die über 500 Schweizer Fans in den ersten beiden Partien ihrer Landsmänner an der EM in Göteborg. Spieler, Trainer und Betreuer der Nationalmannschaft schwärmen immer wieder über den tollen eigenen Anhang und bedanken sich per Videobotschaften, erzählen von Gänsehaut-Momenten bei der Nationalhymne. Rund 250 der mitgereisten Fans residieren in einem Hotel am Hauptbahnhof, wo jeweils das vom Schweizer Handballverband SHV organisierte EM-Warm-up stattfindet. Der SHV-Medienverantwortliche Matthias Schlageter führt durch die etwa einstündige Veranstaltung, in welcher er Mannschaftsbetreuer, ehemalige Nationalspieler und Journalisten als Experten über die aktuelle EM-Situation befragt und spannende Hintergrundinformationen und Spielzusammenfassungen liefert.
Der gestrige Gast Pascal Jenny, der 2006 an der Heim-EM auflief, erzählte, die damalige Mannschaft um ihn, Thomas Gautschi, Manuel Liniger und Konsorten sei wohl talentierter gewesen, als es die heutige ist. Aber: «Heute sind sie seriöser als wir damals. Wir gingen wohl ein- bis zweimal häufiger in den Ausgang als sie heute.» Jenny ist ebenso wie Urs Schärer, Antoine Ebinger, Matjaz Tominec und viele weitere bekannte Namen als Fan mitgereist.
Auch Schaffhausen ist gut vertreten. Etwa mit Pfader-Neuhausen-Trainer Roman Schudel oder zahlreichen ehemalige Kadetten-Espoirs-Spielern. Auch einige Kadettenfans sind derzeit in Schweden und nehmen an einem Teil Schweizer Handballgeschichte teil. (pha)
Quelle: SN, 13.1.2020, Philipp Hagen, Göteborg