Es ist eine ökonomische Revolution im Handball: Mit dem Verkauf ihrer Vermarktungsrechte zwischen 2020 und 2030 betreten die europäischen Topklubs und die EHF eine neue Dimension. Das liegt an mehreren Gründen.
Wer wollte, der konnte am Wochenende den Ball als Metapher für den Aufbruch in eine neue Ära des Handballs betrachten. Das neue Spielgerät, das beim Final-Four-Turnier um die Champions League in Köln Premiere hatte, wo Montpellier HB 32:27 gegen HBC Nantes gewann, ist mit einem Chip versehen, der nicht weniger als eine technische Revolution im Handball bedeutet – und nicht nur, weil das „iBall“ genannte Objekt für die Trainingswissenschaft neue Möglichkeiten eröffnet. Über zwei Jahre lang hatten die Europäische Handball-Föderation (EHF), eine Münchner Firma und ein dänischer Ballhersteller das Spielgerät entwickelt und getestet.
Mit dem Ball lassen sich nun blitzschnell wichtige Parameter wie Ball- und Passgeschwindigkeit und auch Wurfmuster ermitteln. „Die Daten, die wir sammeln, ermöglichen es uns und unseren Medienpartnern, den Handballsport noch besser zu erklären“, sagt David Szlezak, der Geschäftsführer der EHF Marketing, der Vermarktungstochter der EHF: Alle Daten, die der Ball liefert, lassen sich von den übertragenden TV-Sendern nutzen.
Überragt wurde dies dann aber doch von einer Nachricht, die man als ökonomische Revolution einstufen muss: Die EHF Marketing und die europäischen Spitzenklubs, die von der Group Club Handball (GCH) repräsentiert werden, unterschrieben am Sonntag einen langfristigen Vermarktungsvertrag mit der Schweizer Agentur Infront und der britischen Perform Group (unter anderem DAZN, goal.com, spox.com). Der Deal umfasst die Vermarktung der Europameisterschaften und der europäischen Vereinswettbewerbe bei Männern und Frauen für die Jahre 2020 bis 2030 und sichert EHF und den Klubs garantierte 500 bis 600 Millionen Euro Einnahmen. „Das ist ein Meilenstein für unseren Sport und die EHF“, sagte EHF-Präsident Michael Wiederer. Auch GCH-Geschäftsführer Gerd Butzeck spricht von einer „neuen Dimension“.
Die Erträge der Bundesliga erscheinen im Vergleich geradezu mickrig
Es ist in der Tat der spektakulärste Vertrag in der Geschichte des Handballs. Er übertrifft auch die Volumina der TV-Verträge, welche die Internationale Handball Föderation (IHF) für die Nutzung der WM-Rechte zuletzt erlöste. Für die WM-Turniere 2014 bis 2017 hatte die qatarische Agentur beIN Sports rund 81 Millionen Euro gezahlt; die TV-Rechte für die WM-Turniere 2018 bis 2025 verkaufte die IHF im Frühjahr an die italienische Agentur MP & Silva für etwa 150 Millionen Euro – MP & Silva hatte auch, wie Branchenkenner berichten, nun für die EHF-Rechte eine sehr lukrative Offerte abgegeben.
Im Vergleich erscheinen die Erträge der deutschen Handball-Bundesliga (HBL) geradezu mickrig: Die HBL kassiert bis zum Jahr 2023 von ihren Medienpartnern Sky und ARD/ZDF pro Jahr circa sechs Millionen Euro. Die Agentur Infront agiert bereits seit der Einführung der Europameisterschaften im Jahr 1994 als Partner der EHF und kennt daher den Handballmarkt bestens. Von dem neuen Partner Perform Group erhofft sich der Handball eine spürbare Aufwertung des Sports in der digitalen Welt. „Perform wird uns neue Chancen auf den digitalen Plattformen eröffnen“, glaubt Butzeck. Und auch Wiederer erwartet eine Initialzündung, weil Perform „hinsichtlich der Vermarktung des digitalen Contents einer der führenden Anbieter im Markt ist“. Der österreichische EHF-Präsident betonte zugleich, dass der neue Kontrakt das Produkt einer harmonischen Beziehung zwischen Klubs und EHF darstelle. „Ohne diese Einheit wäre diese Vereinbarung nicht möglich gewesen, das ist ein wichtiger Aspekt, dass wir in dieser Frage zusammen am Tisch saßen“, sagte Wiederer, der hier den Unterschied zu den Konflikten zwischen Klubs und Dachverbänden im Eishockey oder Basketball hervorhob.
In der Tat waren die Spitzenklubs mit Geschäftsführer Butzeck, GCH-Präsident Xavier O’Callaghan (FC Barcelona), Thorsten Storm (THW Kiel), Peter Leutwyler (Kadetten Schaffhausen) und Nicolas Larsen (Kristianstad IF) jederzeit informiert und agierten als gleichberechtigte Partner. Sie werden auch für die EHF Marketing einen zweiten Geschäftsführer vorschlagen. „Für uns ist entscheidend, dass wir ab dem 1. Juli 2018 Mitspracherechte auf allen Ebenen haben werden“, sagte Butzeck, der die wichtige Rolle Storms unterstrich. Der THW-Geschäftsführer hatte im Jahr 2016 eine bereits unterschriftsreife Vereinbarung zwischen Klubs und EHF torpediert und den Vermarkter IMG ins Spiel gebracht.
Die Klubs werden also mitentscheiden, wenn es um die Verteilung des vielen Geldes geht. Unklar ist noch, in welchem Ausmaß der Frauenhandball von dem Handel profitiert – auch die Frauenklubs werden demnächst ein Memorandum of Understanding mit der EHF unterschreiben. Grundsätzlich werden die Erlöse aus der Vermarktung der Klubwettwerbe etwas höher liegen als die aus den EM-Turnieren. „Die Klubwettbewerbe werden etwas höher zu bewerten sein“, sagte Butzeck. „Auch werden die Klubs von der Vermarktung der EURO mit acht Prozent von den Umsätzen profitieren.“ Die Erlöse für EHF und Vereine würden zunächst etwas niedriger liegen als 50 Millionen Euro jährlich und sich dann kontinuierlich steigern. Und insgeheim spekuliert der Handball sogar auf noch höhere Erlöse als die garantierte halbe Milliarde. „Der Vertrag hat Entwicklungspotential“, sagt Wiederer. Will heißen: Erzielen die Partner Infront und Perform höhere Erlöse als geplant, werden auch die EHF und die Klubs daran beteiligt sein.